Geschlechterwissen
in Biomedizin und Lebenswissenschaften
Geschlecht ist eine körperliche Tatsache. Fragen nach Geschlecht sind zentral für Biomedizin und Lebenswissenschaften ebenso wie für die therapeutische Praxis und Diagnostik. Wie aber hängen wissenschaftliches Wissen, soziale Praxis und kulturelle Geschlechtervorstellungen zusammen und welche Rolle spielen Vorstellungen von Geschlecht in den unterschiedlichen Handlungs- und Wissensfeldern von Gesundheit, Prävention und Vorsorge? Auf welche Art und Weise werden in spezifischen Feldern jeweils zeitgenössische Wissensmuster und epistemische Hierarchien hergestellt? Wie zirkulieren diese und prägen Praktiken? Und welche Rolle spielen Geschlechtervorstellungen für Wissensinhalte? Kurz, wie funktioniert das Wissen von Geschlecht in Biomedizin und Lebenswissenschaften?
Unsere Vorstellungen von Geschlecht – von XY-Chromosomen über Testosteron und Östrogen bis hin zu Reproduktionsstadien und Sexualität – werden heute maßgeblich durch Wissen aus Biomedizin und Lebenswissenschaften bestimmt. Aber nicht nur. Denn in Körperkonzepte gehen auch kulturelle Geschlechterbilder mit ein. Darüber hinaus sind Aufgabenverteilungen in Wissenschaft und Medizin von Geschlechterrollen geprägt, die mit darüber entscheiden, wer forscht und wer assistiert, wer pflegt und wer behandelt. Am IMGWF forschen wir aus kulturwissenschaftlichen sowie wissenschafts- und medizinhistorischen Perspektiven zur Interaktion von Wissen und Geschlecht.
Geschlechterwissen fokussiert auf ein Wissen über Wissen. Dafür werden unterschiedliche Themenfelder, wie Geschlechterverhältnisse in der Medizin und den Biowissenschaften, genderkritische Analysen biologischer Geschlechtertheorien, medizingeschichtliche Deutungen von Geschlechtervariabilität, gesundheitswissenschaftliche Versorgungskonzepte des „transCare“ oder professionsethische Fragen des medizinischen ExpertInnenwissens, behandelt.
In diesen Themenfeldern werden Erklärungskonzepte, forschungspraktischen Modelle und theoretischen Prämissen des Geschlechterwissens in ihren sozialen, historischen und kulturellen Dimensionen aufgezeigt sowie die Herausbildungsprozesse binärer Geschlechtermodelle, aber auch die Notwendigkeiten ihrer Infragestellung in konkreten Handlungs- und Wissenszusammenhängen adressiert. Ziel ist es, die Biowissenschaften und die Medizin als integralen Bestandteil sozialer, gesellschaftspolitischer Aushandlungsprozesse vergeschlechtlichte Existenz zu begreifen und Studierende für das innovative Potenzial genderkritischer Perspektiven zu sensibilisieren.
Aspekte von Gender und Diversity sind Teil von Forschung und Lehre am IMGWF.
In der Lehre in den Natur- und Biowissenschaften werden Perspektiven der Genderforschung im Sinne der geforderten Genderkompetenz (Nationaler Kompetenzbasierter Lernzielkatalog Medizin) umgesetzt. Das IMGWF hat dazu folgende Lehrveranstaltungen konzipiert:
- Vorlesung zur Gendermedizin bzw. Gender in Medizingeschichte: "Körper haben (k)ein Geschlecht“
- Seminar Geschlechterwissen in der Medizin
- Geschlechterwissen in der Medizin, Beispiele, Fallanalysen und Forschungsfelder, seit 2019 regelmäßige Blockveranstaltung
- Jagen, Sammeln, Einparken: Konzepte von Geschlecht in der Psychologie
- Abtreibung, seit 2020 regelmäßige Blockveranstaltung
- Geschlecht: angeboren oder gemacht? Der John/Joan-Fall, Sommersemester 2018
- Männlich ≠ weiblich und noch mehr? Konstruktionen von Geschlecht in der Geschichte der Medizin oder: wie man Medizingeschichte queer lesen kann, Wintersemester 2017/2018
- Pathologien des Weiblichen. Medizinische und kulturelle Bilder von Geschlecht, Sommersemester 2016