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Katja Dombach

Aufklärung um (fast) jeden Preis. DDR-Ärzte im Kampf gegen die Atomkraft am Beispiel der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl.

Mit Tschernobyl erlebte die Welt den schwersten nuklearen Unfall seit dem Betrieb von Kernkraftanlagen. Dabei kam es in der Nacht zum 26. April 1986 im Kernkraftwerk (KKW) „Lenin“ nahe der sowjetischen Stadt Prypjat im Rahmen von Wartungs- und Revisionsarbeiten zu einer Explosion in einem der Reaktoren des Kernkraftwerkes und damit zur völligen Destruktion dieses Reaktors. Durch die Zerstörung und den dadurch entstandenen, insgesamt knapp 2 Wochen anhaltenden Brand, kam es zur massiven Freisetzung von radioaktiven Substanzen. Diese trieben nahezu über die gesamte Nordhalbkugel durch die Luft und regneten schließlich im Sinne eines radioaktiven Fallouts über den verschiedenen geographischen Gebieten in unterschiedlicher Intensität ab.

Trotz der Entfernung von rund 1.500 Kilometern von Berlin nötigten diese Ereignisse auch die damalige DDR zum Handeln. Aus den verschiedensten Gründen konnte die Regierung nicht untätig bleiben und musste früh entscheiden, welche Maßnahmen zu ergreifen waren.

Dabei spielten die engen wirtschaftlichen, ideologischen und politischen Verbindungen zur Sowjetunion eine entscheidende Rolle. Der große, starke Bruder war plötzlich in Bedrängnis geraten, hatte eine Achillesferse offenbart und es war nicht abzuschätzen, wie groß die Schäden für den sowjetischen Freund letztlich ausfallen würden. Jede Schwäche der UDSSR konnte sich immer auch negativ auf die DDR auswirken. Nicht zuletzt aus diesem Grund war die DDR stets bemüht, das positive Bild der Sowjetunion aufrecht zu erhalten und innerhalb der ostdeutschen Bevölkerung zu bestärken.

Zudem setzte die DDR seit Einstieg in die Atomenergie in den 1950er Jahren auf sowjetische Technologien für ihre KKWs. Zweifel an deren Sicherheit sollten gar nicht erst aufkommen, beziehungsweise sich verbreiten. Erst recht nicht am „Nutzen ohne Risiko" der Kernenergie. Auch wenn die technischen Gemeinsamkeiten von russischen Kernkraftwerken und technisch fast baugleichen DDR-Atommeilern offiziell immer bestritten wurden, so sorgte das Wissen darum bei vielen doch zumindest für ein gewisses Unbehagen.

Die bald nach dem Reaktorunfall einsetzende, ausführliche und warnende Berichterstattung der westlichen Medien konnte demzufolge von der sozialistischen Einheitspartei nicht gutgeheißen werden und stellte eine weitere Herausforderung für den Regierungsapparat dar.

Schließlich nahte aus dem Osten eine tatsächliche, begreifliche Gefahr für das Gebiet der DDR in Form der radioaktiven Wolke. Keiner wusste, was genau diese mit sich brachte, welche möglichen gesundheitlichen Gefahren sich darin bargen.

Die Verunsicherung in der Bevölkerung war groß und trotz allen Bemühend seitens der Regierung, die Ereignisse und deren (gesundheitliche) Gehfahren zu verharmlosen, wuchsen Angst und Zweifel.

Nichts Anderes galt für eine besondere Berufsgruppe, die der ostdeutschen Ärzteschaft. Die (ostdeutschen) Mediziner sollen in diesem Zusammenhang insofern als „besondere Berufsgruppe“ bezeichnet werden, als dass sie auf Grund ihrer Ausbildung, ihres Status, ihres Berufsethos und ihrer potentiellen Heilungsmöglichkeiten einen größeren Überblick und ein umfangreicheres Wissen in Bezug auf die Kernenergie als Ganzes und die Ereignisse von Tschernobyl im speziellen hatten.

Und doch wurde schon im Rahmen der Vorbereitungen zu dieser Dissertation deutlich, dass viele Ärzte sich nach dem Motto „Augen zu und durch“ verhielten. So war ihnen durchaus bewusst, dass da möglicherweise eine große Gefahr mit nicht abzusehenden Folgen aus dem Osten drohte, dennoch verhielten sie sich überwiegend still und es kam allenfalls Warnungen unter der Hand. So zum Beispiel beim Hausarzt, wie „die Kinder nicht im Freien spielen zu lassen“.

Anders dagegen agierten viele der, in den meisten Fällen bereits vor Tschernobyl, oppositionell-politisch engagierten Mediziner und Wissenschaftler.

Eingebettet zwischen Berufsethos und Regimetreue, kam ihnen eine spezielle Rolle zu, welche einige von ihnen nutzen, um ihren Einfluss auf Bürger und Regierung gelten zu machen und unter anderem auf Missstände in der (Informations-) Politik und im Umgang mit der Kernkraft aufmerksam zu machen.

Im Vordergrund dieses Dissertationsprojektes stehen demnach ostdeutsche Mediziner, welche sich in der Antiatomkraftbewegung der DDR engagierten. Dabei scheint bedeutsam, dass ein Engagement gegen die Kernenergie immer auch eine Ablehnung, zumindest von Teilen, der DDR-Regierungspolitik bedeutete und in vielen Fällen eine Fülle an Repressalien, wenn nicht sogar Strafen zur Folge hatten.

In dieser Arbeit soll also betrachtet werden, welche Rolle Tschernobyl für die Antiatomkraftbewegung an sich und insbesondere für die innerhalb dieser tätigen Mediziner spielte.

Neben dem Wunsch, durch diese Promotionsarbeit ein umfassendes Licht auf die innerhalb der Antiatomkraftbewegung der DDR tätigen Ärzte zu werfen, sollen einzelne Persönlichkeiten und Schicksale besonders hervorgehoben werden.

Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf Jutta und Eberhard Seidel, einem Mediziner-Ehepaar aus Berlin. Diese kritischen Ärzte setzten sich unter dem Dach der evangelischen Kirche für die Abschaffung der Atomwaffen in Ost und West, soziale Gerechtigkeit, Meinungsfreiheit und Menschenrechte ein.

Als weitere Persönlichkeiten sind zu nennen Sebastian Pflugbeil und Erika Drees.

Mögliche Fragestellungen in diesem Zusammenhang sind:

  1. Tschernobyl als Verstärker eines Spannungsfeldes?
    Wie beeinflusste die Katastrophe das ohnehin spannungsgeladene private Engagement von Ärzten gegen die Atomkraft?
  2. Tschernobyl als Zensur?
    Welchen Weg nahm die Antiatomkraftbewegung unter und nach Tschernobyl?
    Hatte das Ereignis unter Umständen sogar einen indirekten Einfluss auf das Ende der DDR?

Für die Beantwortung dieser Fragen werden Recherchen unter anderem durchgeführt im Archiv der Robert-Havemann-Gesellschaft, im Bundesarchiv und im Archiv des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen in Berlin.

Katja Dombach, geb. am 08.04.1978 in Rostock,
von 2002 bis 2008 Studium der Humanmedizin an der Universität zu Lübeck,
seit 2009 tätig in der Chirurgie des DRK-Krankenhauses Grevesmühlen,
seit 2019 Fachärztin für Allgemeinchirurgie

Betreuung: Prof. Cornelius Borck