Nina Stüven
Chaperones in der Hausarztpraxis – Philosophische, theoretische und empirische Betrachtung von dritten Personen bei Intimuntersuchungen in der Allgemeinmedizin in Deutschland
Wenngleich die meisten Untersuchungen des Intimbereichs bei Patient*innen in Deutschland von Fachärzt*innen für Urologie oder Gynäkologie durchgeführt werden, gibt es doch eine nicht zu vernachlässigende Anzahl an Untersuchungen, die auch Allgemeinmediziner*innen im Intimbereich ihrer Patient*innen durchführen. Seien es die digital-rektale Untersuchung beim Prostata-CA-Screening, die Untersuchung von unklaren vaginalen Blutungen, Hämorrhoiden oder die Untersuchung der Brust bei einer Reihe von Fragestellungen: Allgemeinmediziner*innen kommen regelmäßig in Berührung mit den Intimzonen ihrer Patient*innen. Eine klare Leitlinienempfehlung, wie in solchen Situationen mit der Intimsphäre der Patient*innen umgegangen werden soll, gibt es nicht.
Im englischsprachigen Raum, insbesondere in Großbritannien, wird weitestgehend das Angebot eines sogenannten „Chaperones“ empfohlen. Mit Chaperone ist eine dritte Person gemeint, die bei der Konsultation anwesend ist und das Vorgehen beobachtet. Dabei soll sie einerseits für die Patient*innen sicherstellen, dass keine unangemessenen Handlungen durch den Behandler oder die Behandlerin durchgeführt oder unangemessene Aussagen getroffen werde. Sie kann die Patient*innen emotional bei schmerzhaften oder schambesetzten Untersuchungen unterstützen oder Fragen beantworten. Andererseits bietet die Rolle einer Aufsichtsperson im Sinne einer Zeugenschaft auch für den/die Behandler*in eine Möglichkeit, im Zweifelsfall ihre Wahrnehmung der Situation im Nachhinein zu schildern. Gerade im Falle von Vorwürfen seitens der Patient*innen gegen den Behandler oder die Behandlerin kann ein*e Chaperone unterstützend wirken.
In Deutschland gibt es keine klare Empfehlung in allgemeinmedizinischen Leitlinien, ob und wann dritte Personen eingesetzt werden sollten, wenngleich hierzulande ähnlich viele Untersuchungen bei Patient*innen aller Geschlechter durchgeführt werden, die ihre Intimsphäre berühren. Gleichzeitig ist unklar, ob in Deutschland überhaupt ein Bedarf bei den Patient*innen besteht, das Angebot der Anwesenheit einer begleitenden Person regulär vor solchen Untersuchungen zu erhalten. Und es fehlen Einsichten darüber, ob und inwieweit vielleicht solche Angebote durch die Allgemeinmediziner*innen schon gemacht werden. Es soll versucht werden, diese Lücken mit der geplanten Arbeit zu schließen. Außerdem werden in der vorliegenden philosophischen, theoretischen und empirischen Arbeit die einer Intimuntersuchung zugrunde liegenden Konzepte von Intimität, Scham und Schutz untersucht, ebenso wird die Situation der Intimuntersuchung als solche in ihrem kulturellen Kontext betrachtet und der Blick der dritten Person dabei besonders in den Fokus genommen. Die Rolle des Chaperones und die teils widersprüchlichen Anforderungen an sie sollen ergänzend betrachtet werden. Die Ergebnisse der philosophisch-theoretischen Untersuchungen und der qualitativ-empirischen Fokusgruppen sollen schließlich zusammengetragen werden, um das Konzept von Chaperones in der Hausarztpraxis aus möglichst vielen Blickwinkeln zu beleuchten.
Erstbetreuerin: Prof. Dr. Christina Schües
Ko-Betreuerin: Prof. Dr. Annika Waldmann, Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie