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Carola Oßmer

Dissertationsprojekt: Kinder der Wissenschaft: Entwicklungsformen, Menschenbilder und Arnold Gesells Psychologie individueller Normen (ca. 1900-1950).

 „Kinderentwicklungsforschung ist eine soziale Notwendigkeit, insbesondere in einer demokratischen Kultur,“ schrieb der US-amerikanische Psychologe und Mediziner Arnold Gesell unter Eindruck des Zweiten Weltkriegs. Arnold Lucius Gesell, 1911-1948 Leiter der Yale Clinic of Child Development, war eine Autorität im Feld der Entwicklungspsychologie und Pädiatrie. Er forschte an Kindern ab dem Säuglingsalter nach Entwicklungsnormen und nutzte dafür das Medium Film. Für Gesell manifestierte sich in den Filmbildern die sichtbare Essenz psychischer Vorgänge, verbunden mit dem Versprechen, die Gesetze mentalen Wachstums und somit die menschliche Entwicklung greifbar und vorhersagbar zu machen. In einer Zeit, als Staat und Zivilgesellschaft bessere Entwicklungsbedingungen für Kinder als Investition in eine zukunftsfähige Gesellschaft erkannten und mit Hilfe wissenschaftlicher Erkenntnisse auf die Kontrollmöglichkeit der Menschheit hofften, prägte Arnold Gesell wissenschaftliche Entwicklungstheorien, medizinische Vorsorgeroutinen sowie Erziehungsprinzipien von Pädagogen und Eltern. Er vermittelte in Büchern, Filmen und Radiosendungen eine Entwicklungsphilosophie, die das Verständnis über die individuelle Entwicklung eines Kindes zur Grundlage der Demokratie erklärte.

Das Promotionsvorhaben untersucht die Verschränkung von Praktiken, Medien, Institutionen und Arnold Gesells Entwicklungswissen. Im Zentrum der Arbeit steht neben der Praxis der Erkenntnis- und Wissensproduktion und der Materialität und Medialität von Gesells Entwicklungspsychologie deren Zusammenhang mit einem eng verwobenen Forschungs- und Praxisfeld um Kind und Entwicklung sowie dem zeitpolitischen Geschehen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Durch eine detaillierte Analyse der Archivmaterialien zeigt sich, wie sich Forschungspraxis, Medientechnologien und Konzepte von menschlicher Entwicklung gegenseitig bedingen und dabei medial reproduzierte Kinder hervorbringen. Diese idealen Kinder verändern sich mit der Zeit, sie changieren zwischen Norm und Individualität und korrespondieren mit gesellschaftlichen Notwendigkeiten. Die Kinder der Wissenschaft sind somit zugleich Einflussfaktor und Indikator für das jeweils vorherrschende oder erwünschte Bild vom Menschen. Mit ihnen wird die Beziehung von Individuum und Gesellschaft, das Verständnis von Demokratie und das Selbstverhältnis des Menschen immer wieder neu verhandelt.

Betreuung: Prof. Christina Wessely (Leuphana Universität Lüneburg), Prof. Cornelius Borck (Zweitbetreuer)

Ihre Dissertation wurde im Rahmen der Abschlussförderung durch das ZKFL von Januar bis November 2021 gefördert. Link zu Carola Oßmer auf der Seite vom Zentrum für Kulturwissenschaftliche Forschung Lübeck (ZKFL).