Ulrich Mechler
Zwischen Morphologie und Biomedizin
Karl Lennerts Karteikasten und die Klassifikation maligner Lymphome 1945-1990
Medizinische Krankheitsforschung durchlief in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen tiefgreifenden Wandel. Ulrich Mechler untersucht in seiner Dissertation diesen Transformationsprozess anhand des Lebenswerkes des Kieler Pathologen Karl Lennert (1921-2012), der sich als einer der weltweit führenden Experten für Hämatopathologie mit der Diagnostik und der Klassifikation der malignen Lymphome, den tumorbildenden Krankheiten der Lymphknoten beschäftigte.
Die histologische Diagnostik dieser Krankheiten galt seit dem 19. Jahrhundert als eines der schwierigsten Teilgebiete der Pathologie. In den 1960er Jahren entwickelte sich dieses Spezialgebiet unter dem Einfluss der modernen Immunologie und der rasant intensivierten klinischen Krebsforschung zu einem Hotspot bei der Herausbildung und Durchsetzung biowissenschaftlicher Forschung in der Medizin.
Im Zentrum der Analyse steht Karl Lennerts Karteikasten, seine persönliche Fallsammlung von 5.400 Krankheitsfällen, zusammengetragen in 45 Jahren Forschungstätigkeit. Jeder Fall ist in einem flachen Kartei-Mäppchen im A6-Format abgelegt, dass einige histologische Schnittpräparate exzidierter Lymphknoten enthält und mit knappen, hochverdichteten Informationen versehen ist. Die Sammlung ist ein raffiniert einfacher Speicher für schwierige, seltene und nicht-stimmige Diagnosefälle. Sie war das produktive Zentrum von Lennerts Forschung und ihr ständiger Referenzpunkt. Ihr disponibles, erweiterbares und immer komplexer werdendes Ordnungsgefüge ermöglichte die Adaption an immer neue Fragestellungen, Methoden und Randbedingungen – und jede Modifikation hinterließ Spuren.
In der Sammlung manifestierte sich eine medial-strukturierte Arbeitsroutine, mit der Lennerts seine facettenreiche Forschung organisierte und stabilisierte. Und dabei zeigt sich, dass die Medien der Forschung selbst aktiv werden, eine Eigendynamik entfalten, die Ergebnisse mitschreiben und ihre Reichweite begrenzen.
Die Arbeit ist Anfang 2021 im Wallstein Verlag erschienen.
Lebenslauf
1998-2006 Studium der Philosophie, empirische Kulturwissenschaften, Psychologie in Jena
2007-2010 Volontariat im Arithmeum – Museum für die Geschichte des Rechnens und der Mathematik, Universität Bonn
seit 2010 Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Medizin- und Pharmaziehistorischen Sammlung der Universität Kiel
Betreuung: Prof. Cornelius Borck
Buchpublikation: www.wallstein-verlag.de/9783835338692-zwischen-morphologie-und-biomedizin.html