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Bettina Schubert

Psychiatrie im Wiederaufbau –
Das Landeskrankenhaus Neustadt/ H. zwischen Euthanasie-Aktion und Reform

Die Lage der institutionellen Psychiatrie in der BRD nach 1945 wurde Mitte der 1970er Jahre von der Enquete-Kommission mit schwerwiegenden Mängeln in der Versorgung psychiatrischer Patienten beurteilt. Die Kritik richtete sich neben der grundsätzlichen Feststellung inhumaner Zustände u.a. gegen die Mangelversorgung, akute Personalnot, lange Verweildauern und dauerhafte Verwahrung.

Vor diesem Hintergrund wurde auf der Mikroebene des Landeskrankenhauses Neustadt in Holstein erstmalig für Schleswig-Holstein der Wiederaufbau der Psychiatrie innerhalb einer heterogenen Krankenhausstruktur ab 1945 in einem zeitlichen Längsschnitt von 25 Jahren untersucht. Unter Berücksichtigung der NS-Gesundheitspolitik und zwangsläufigen Personalkontinuitäten bei Ärzten und Pflege wurde der Fokus der Analyse auf die Kategorien „bauliche Ausstattung“, „ärztliches Personal“, „Pflege“, „Therapie“, „Entlassungs-management“ und „Patientenalltag“ gelegt.

Wie entwickelten sich die Versorgungs- und Personalstrukturen im zeitlichen Längsschnitt von 25 Jahren in den ausgewählten Kategorien? Welchen Einfluss hatte die zentrale Krankenhausstruktur Neustadts auf den kontinuierlichen Ausbau der Psychiatrie? Wie stark bestimmten politisch-ökonomische und gesellschaftliche Einflüsse psychiatrisches Handeln?

Die Auswertung serieller Quellen und quantitativer Datenerhebungen in Kombination mit einer qualitativen Analyse ausgewählter Patientenakten mit Ego-Dokumenten verdeutlicht, dass institutionelle Psychiatrieversorgung - in der Personalausstattung, der baulichen Unterbringung, der Pflegekosten und direkten Versorgungsleistungen für die Patienten - von rigiden gesundheitsökonomischen Vorgaben der schleswig-holsteinischen Landesregierung geprägt wurde. Parallel zur Politik nahm das gesellschaftliche Umfeld der Psychiatriekranken - Familie und Angehörige - sowohl in der Einweisungs- und Entlassungspraxis als auch in der Kontrolle der ambulanten Neuroleptika-Therapie direkten Einfluss auf psychiatrisches Handeln und Verweildauern der Patienten in der Psychiatrie.

Zwischen diesen beiden Polen nutzten Neustädter Psychiater Handlungsspielräume, deren Fokus auf das mögliche Therapiespektrum ausgerichtet war. Anstaltserziehung, Arbeitstherapie, Schockverfahren und ab Mitte der 1950er Jahre Neuroleptika wurden für alle Patienten individuell angepasst, variiert und miteinander kombiniert. Ein Konzept, das trotz aller bestehenden Mängel in der Psychiatrieversorgung in den Kategorien „Verweildauer“ und „Wiederaufnahme“ im Gesamtbestand der archivierten Neustädter Patientenakten gegen eine vornehmlich auf Verwahrung ausgerichtete Psychiatrie steht.

Studium: Angewandte Kulturwissenschaften/ MA Universität Lüneburg
Promotion: 22.12.2017
Betreuer: Prof. Cornelius Borck

Zur Dissertationsschrift: www.zhb.uni-luebeck.de/epubs/ediss1958.pdf