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Retterbeziehungen und Kindeswohl

Teilprojekte

1. Philosophisches Projekt: Das Kindeswohl im ethischen Konflikt: Knochenmark- und Blutstammzellspenden von Kindern an Familienmitglieder.

Gefördert von der Fritz Thyssen Stiftung 2012 bis 2015  

Untersuchte Fragestellungen:

Eine Transplantation von hämatopoietischen Stammzellen, die Krankheiten, etwa des blutbildenden Systems, behandelen sollen, gründet auf einem rechtlichen und ethischen Konflikt: Das Wohl des gesunden Spenderkind wird zugunsten des Wohls des kranken Geschwisterkindes abgewogen. Die medizinische Indikation für einen Eingriff liegt allein beim Empfängerkind. Die Rechtfertigung für die Entnahme von Knochenmark unterliegt einem konfligierenden und kontroversen Rechtfertigungsdiskurs. Mögliche Argumentationsmodelle unterscheiden sich grundsätzlich von denen, die auf die Freiwilligkeit und die Einwilligung eines Erwachsenen abzielen.

Wie aber kann überhaupt das „Wohl“ des Kindes im Allgemeinen und speziell in dieser Situation verstanden werden? Welches sind die Interessen des Spenderkindes (best interest)? Fragen stellen sich zur Freiwilligkeit und ‚informierten Zustimmung’, zum Recht auf Eigentum am Körper, zu den Erwartungen und zum Pflichtgefühl. Diese Fragen stehen gleichermaßen im Focus dieses Forschungsprojektes wie die Klärung der besonderen Beziehungskonstellationen zwischen Arzt, Spender- und Empfängerkind, der Familie und Gesellschaft. 

Eine phänomenologisch-hermeneutischee Entfaltung sowie sozialgeschichtlichen und philosophisch-anthropologischen Aufarbeitung des Begriffsverständnisses „Kindeswohl“ beansprucht, die juristischen und ethischen Aspekte in ihrer Verschränkung mit normativen Sinnstrukturen und gesellschaftlich gewachsenen Vorstellungen von Familie und Verpflichtungen zu klären. Diese Klärung bleibt nicht ohne die Problematisierung von dem, was in der Familie die Beziehungen zum anderen ausmachen, 'normal' gefordert oder erwartet werden kann. Wem gehört der Körper des Kindes?

Auf Überlegungen aus der philosophischen Studie aufbauend wurde in einem empirischen qualitativen Projekt die Erfahrungen und Ansichten in betroffenen Familien untersucht. Davon ausgehend wurden die ethischen Handlungsmotive geklärt und Hinweise für die Praxis herausgearbeitet.

 

2. Empirisches Projekt: Stammzelltransplantationen und Retterbeziehungen – Ethik, narrative Rekonstruktion und psychosoziale Implikationen pädiatrischer Blutstammzelltransplantationen

Gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) 2016 - 2019

Über die längerfristige Entwicklung innerfamiliärer Beziehungen, die biographische Verarbeitung und die retrospektive moralische Beurteilung einer allogenen Blutstammzelltransplantation zwischen minderjährigen Geschwisterkindern war wenig bekannt. Bisherige meist quantitative Untersuchungen umfassten einen zeitlichen Rahmen von wenigen Jahren nach der Spende.

In einer explorativen qualitativen Studie wurden die Ansichten von Spendern, Empfängern und anderen Familienmitgliedern zur Bedeutung dieser OP und zu ihrer eigenen narrativen, biographischen und ethischen Verarbeitung in Deutschland untersucht. Es wurden sowohl Familien-Gruppeninterviews als auch Einzelinterviews mit Personen durchgeführt, die als Spender- oder Empfängerkind, Elternteil oder nichtspendendes Geschwisterkind Erfahrungen mit dem Thema Knochenmark-Transplantationen gemacht haben. Die kurz-, mittel- und langfristige Perspektiven nach dem Eingriff in 17 Familien (0 bis 20 Jahre nach der Transplantation), die Folgen für die Familienbeziehungen, die Bewertung ethischer Fragen durch die Familienmitglieder selbst und die Verarbeitung in Familiennarrativen standen im Fokus einer familiensoziologischen und empirisch-ethischen Studie. Die Perspektive des Kindeswohls spielte bei der Untersuchung eine herausragende Rolle. Die Datenanalyse erfolgte anhand der Dokumentarischen Methode.

Mit diesem Ansatz konnten zum Beispiel folgende Fragen untersucht werden: Wie haben die Familienmitglieder die Phase der akuten Erkrankung des einen Kindes erlebt und auf welcher Basis wurden Entscheidungen gefällt? Wie denken die Familienmitglieder heute darüber? Hatten und haben die Erlebnisse rund um die Erkrankung und Stammzelltransplantation Auswirkungen auf die Familie und/ oder auf die Persönlichkeitsentwicklung der Beteiligten? Weitere Fragen stellten sich zur Freiwilligkeit und informierten Zustimmung, zum Recht auf Eigentum am Körper, zum Konzept von Gesundheit und Krankheit, zu den Erwartungen und zum Pflichtgefühl.

Zu den Ergebnissen.